Die verlorenen Jahre

teka

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Ruhrgebiet
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männlich
Ich entdeckte, dass ich mich zeit meines Lebens nicht danach gesehnt hatte, zu leben ; wenn man das, was andere treiben, leben nennen kann -, sondern mich selbst auszudrücken.
(Henry Miller, Wendekreis des Steinbocks, 1939)

Die Andersartigkeit ist das, was jeder in sich trägt, nur sie prägt das Individuum.
Und sie hieße nicht Andersartigkeit, wenn sie bei allen Menschen gleich wäre. Deshalb ist sie so schwer zu vermitteln: Sie ist nicht vergleichbar.
Jede Form der Sprache beruht auf Vergleiche, daher ist der Ausdruck mit einfachen Mitteln untauglich, da vor allem eine oberflächliche Beschreibung des Unbekannten bei Anderen Bilder projiziert, die dem Selbsterlebten nicht entsprechen.

Diese unzutreffenden Bilder sind jene, die ich zu fürchten gelernt habe.

Wohl jeder von uns kennt diese Fehlleitungen aus eigener Erfahrung. Zum Beispiel, die plumpe Unterstellung, man wäre schwul. Dabei wäre es ja noch nicht einmal negativ, wäre ich es wirklich, aber dieses falsche Bild von mir ist doch genau das, was mich verzweifeln lässt.
Es gab Zeiten, da hatte ich mir gewünscht schwul zu sein, nur weil ich gemeint hatte, dass ich es dann einfacher gehabt hätte, meinem eigenen Bild zu entsprechen. Aber genauso wenig , wie ein Homosexueller in der Lage ist eine Rolle als Hetero befriedigend auszufüllen, geht das umgekehrt.

Diese Art zu schreiben ist sicher ein wesentlicher Teil dieses Vorgangs und ein weiterer ist die Erkenntnis, dass es noch einige andere Menschen gibt, die über eine ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Art der Einstellung zu ihren Leidenschaften verfügen und ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Überwältigend war der Augenblick des Glücksgefühls, als ich nach Einführung des Internets in Deutschland die ersten amerikanischen Seiten aufrief und lesen konnte, dass ich überhaupt nicht mehr alleine war mit meiner Eigenart, oder besser gesagt:
Ich war es eigentlich nie; es fehlte nur die Möglichkeit es auszudrücken.

Dieser Film, der in mir abläuft, wenn ich mich in einer sozialen Gemeinschaft zurechtfinden muss, das Filtern der Informationen über mich, das Verschweigen dessen, was hinderlich sein kann, das ist mein gewohntes Verhalten, und in der Summe die von allen in der Gemeinschaft geforderte - sogenannte - Normalität.
Das Ausnutzen des demokratischen Grundrechts der eigenen Selbstdarstellung, das sogar gesetzlich geschützt ist ( und sich .B. auch im Datenschutz ausdrückt), nichts anderes prägt mein Charakterbild mehr. Dabei ist es nur ein Bild, das für meinen Eindruck auf meine Mitmenschen sorgt, für das Vertrauen, dass man mir schenkt, für die Akzeptanz und nicht zuletzt für meine erotische Wirkung auf das begehrte Geschlecht; diese Fähigkeiten sind Ausdruck meiner Anpassungsfähigkeit, mithin ein wesentlicher Teil meines Rollenspiels.

Diesen Gedanken kann man exzessiv weiterführen, er führt zu dem Ergebnis, dass es immer und überall so ist: die quasi ständig gefälschte eigene Vita.

Das Leben in dieser Rolle des Lebens, das Funktionieren als Figur in der Normalität des Alltags, ist nichts anderes eine fatale Symbiose der Unterdrückung des eigenen Andersartigen mit dem Schein des Lebens. Dabei ist nicht etwa das Verschweigen der Phantasien (das man auch als Unehrlichkeit verstehen könnte), die Ursuche der Hinderung, sondern einzig die fehlende Ausdrucksfähigkeit.

Dabei hatte ich nie Angst, die eigene Andersartigkeit zu leben, denn mir selbst habe ich sie ja längst eingestanden, sondern immer nur die Befürchtung falsch interpretiert zu werden und die Furcht vor falschen Konsequenzen; eine durchaus begründete Furcht.
Unzählbar die Situationen, in denen ich unnötig geschwiegen habe und unverzeihlich die, in denen ich gute Chancen verpasst habe, mit einer Beschreibung meiner Leidenschaften mir und auch anderen den Umgang damit zu erleichtern.
Angepasstes Rollenverhalten aufgrund fehlender Ausdrucksfähigkeit, das ist die Tragik unseres Daseins. Der überwältigende Erfolg des Internets als Medium des Austauschs hat es erst möglich gemacht, dass wir in der Lage sind, uns ausdrücken; was natürlich auch umgekehrt gilt.
Schade, dass es das nicht schon länger gibt, Henry Miller hätte es zu schätzen gewusst.

Grüße
teka
 
Hallo teka!

Spielt denn nicht jeder von uns seine Rolle auch ohne die Leidenschaft zu Sh? Es liegt nun mal in der Natur des Menschen das man sich als Herdentier fühlt und bis zu einem gewißen Punkt dies auch sein möchte.

Auch wenn mehr Leute bescheid wüßten über deine Vorliebe spielst Du trotzdem noch eine Rolle und das tut ein jeder denn niemand wird sich bewußt Steine vor die Füße werfen denn dafür sind ja andere da. Ehrlich zu sein ist zwar ein nobler Charakterzug jedoch nur von sehr wenigen geschätzt. Wenn von zehn Leuten einer über bleibt der es ehrlich akzeptiert dann ist es gut, außerdem ist ein jeder Mensch anders ganze egal ob er einen Vorliebe hat oder nicht und da müßte man dann schon ansetzen.

Es wird nur sehr wenig Leute geben die auch wenn Du die Möglichkeit hättest dich Auszudrücken, sich damit auseinandersetzen und es nicht als Mist oder sonstiges abtun und dann hinter deinem Rücken tuscheln oder schlecht über dich denken.

Sh sind eine Vorliebe und eine Leidenschaft wo viele nicht verstehen und kann mir gut vorstellen das es für euch Männer nicht einfach ist offen damit umzugehen. Und zu einem gewißen Grad kann ich mich sehr gut einfühlen denn ich habe auch ein Hobby wo nicht normal ist und da würde ich mich hüten in der Arbeit nur einen Ton davon zu erzählen, aber nicht weil ich zu feige wäre sondern weil es auch viel zu viel mit Vorurteilen behaftet ist und es keiner versteht.

Man sollte sich an die Menschen halten die einem selbst wichtig sind denn die werden es auch sein die ihre Arme für die aufhalten wenn Du sie brauchst.
 
Hallo teka,

ich kann mich da nur neiner Vorrednerin , hexe 4526, anschließen.
Durch unsre Leidenschaft zu Sh sind wir trotzdem noch wir selbst und kein Fall für den ....
Klar, jeder muß seinen individuellen Weg in unsrer Gesellschaft
finden und wird nicht nur mit offenen Armen empfangen werden.
Gerade im Freundeskreis trennt sich ev. " die Spreu vom Weizen "
aber auch dies muß nicht von Nachteil sein.
Ich finde, man sollte wie bei vielen anderen Dingen auch, den gesunden
Mittelweg zw.unsrem Fetisch und der Gesellschaft finden.
Habe da natürlich leicht reden, da meine Frau die Vorliebe zur Sh mit mir
teilt.

Viele Grüße

aura 5
 
Hallo!
Wir die meisten von Euch wissen, ist es da auch für mich leichter, weil meine Frau auch bei der Sache ist. Aber teka hat jedenfalls insoweit recht, als das internet erst überhaupt die Möglichkeit zu einer Kommunikation schaffte für Männer, welche diese Vorliebe hegen. Zuvor werden viele, sehr viele, damit auf sich alleine gestellt gewesen sein. In meinen früheren Beziehungen wäre es mir auch nicht möglich gewesen, mich zu outen, einfach, weil ich selber diese damals unerklärliche Vorliebe für Nylon, insbesondere das Selbertragen, irgendwie so sah, dass ich mich zwar damit abfand, nie davon loszukommen, jedoch zu akzeptieren, dass dies so eine Art "dunkles Kapitel" in meinem Leben bleiben würde. Niemals hätte ich beispielsweise in den 70er Jahren geahnt, einmal abendlich mit Leuten zu kommunizieren, die genauso denken und fühlen wie ich, einige davon sogar persönlich kennenzulernen, anderen, die noch nicht so ganz fertig werden damit zu helfen und last but not least, nach Herzenslust selber zu tragen.
Gruss.Dolly
 
Servus teka,

Du hast sicherlich nicht unrecht, wenn Du schreibst, daß das Internet vielleicht Entwicklungen blockiert hat.

Andererseits denke ich: Alles zu seiner Zeit.
Ich habe nicht den Eindruck, großartig Zeit verschenkt zu haben. Wenn das IN vor 10 Jahren publik gewesen wäre, heißt das noch lange nicht, daß ich von meiner persönlichen Entwicklung so weit gewesen gewäre, öffentlich Rock und FSH zu tragen.
Das mag sicherlich mit meinem Alter zusammenhängen (ich bin jetzt 30), aber wenn ich mir die Leute anschaue, die keine Probleme haben, öffentlch zu dem zu stehen, was sie tun, dann sind die in der Regel über 30. Ich denke, das hat auch einen logischen Grund. Man hat schon verschiedene Sachen erlebt und gesehen und kann ein wenig über den Dingen stehen.
Und dazu braucht man kein Internet.
Wenn ich die Männer im IN beobachte, die dazu stehen, daß sie öffentlich Rock und / oder FSH tragen - die große Mehrheit ist über 30, wenn nicht sogar über 40.

Und machen wir uns nix vor: trotz Medien (Tageszeitung, Fernsehen, Internet) ist die Gesellschaft nicht unbedingt gebildeter oder gar aufgeschlossener.

Gruß

Collantix
 
Einen schönen Tag wünsche ich,
eine verlorende Zeit, die gibt es nicht, es gibt wohl Zeiten, in denen nicht
viel geschehen ist, dann war es vielleicht auch wichtig, dass in dieser Zeit
nichts geschehen ist, weil es konnte auch nichts geschehen, denn es war noch nicht klar was geschehen soll.Es soll hier keine Belehrung stattfinden, wie die Zeit einzuteilen ist, dass macht jede/r selbst, es sollte hier nur eine Sichtweise gegeben werden, die eventuell dazu beiträgt, andere Interpretationen zu ermöglichen.
Ich hätte mir auch gewünscht, dass durch die Medien und Internett die Gesellschaft aufgeklärter wird. Wie schon geschrieben, ich hätte mir dies gewünscht, leider muß ich feststellen das dies nicht der Fall ist. Hier muß ich mich fragen, als "alt 68er" ,warum haben wir dies alles gemacht, haben versucht Bewegung in das Leben zu bringen. Ich habe die Feststellung gemacht, das ein großer Teil der Menschen mit dieser Informationsflut nichts mehr anfangen können, sich auch verweigern und sich soweit verschliessen, dass keine Offenheit mehr vorhanden ist. Sie suchen ihre Wurzeln, auch Gedanklich, und übernehmen das was sie in der Kindheit kennengelernt haben, sie getrauen sich nicht mehr in das Progressive Feld, sondern kehren zu dem gewohnten, in das Konservative Feld zurück.Es sind soviel Daten vorhanden, dass sie den Überblick verlieren, dadurch keine "Gedankliche Heimant" finden und dann einfach zu dem zurückkehren was sie kennen. Um ehrlich zu sein, ich muß mich auch immer wieder zusammenreißen, meine Augen offenhalten, meinen Kopf freihalten und bereit sein neue Gedanken aufzunehmen, diese reflektieren um dann auch neue Ideen zulassen. Es ist schon "harte Arbeit", aber ich arbeite weiter daran, denn ich möchte meine Zeit füllen und für Tolleranz geradestehen.
So, bevor mein "kleines Hirn" platzt und ich noch mehr schreibe, mache ich für heute Schluß, aber nur für heute, denn wir kämpfen doch weiter, oder?
In diesem Sinn noch eine schöne, kritische und keine verlorene Zeit
wünscht euch
facesitting
 
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