Welt: Genderfluide Mode soll Männer zu besseren Kunden machen

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Nicht wirklich Thema Frauenzeitschriften, aber heute in der „Welt“:

Genderfluide Mode soll Männer zu besseren Kunden machen

Genderfluide Mode soll Männer zu besseren Kunden machen
Händler wie Zalando werben mit Männern, die Frauenkleidung tragen. Dahinter steckt mehr als Trendbewusstsein für Diversität und Inklusion: Der Casual-Stil von Vorbildern wie Steve Jobs oder Mark Zuckerberg bringt auf Dauer zu wenig Umsatz.
VON CHRISTOPH KAPALSCHINSKI
https://edition.welt.de/issues/236780403/motor/article/243121029#
Tänzer Mikael de Geyter (rechts) mit der belgischen Musikerin Chibi Ichigo: Crop Top statt Männer-Shirt
Copyright: Robin Joris Dullers
Mikael de Geyter ist für Instagram-Maßstäbe keine große Nummer. Gerade einmal 5178 Follower hat der Belgier auf der Fotoplattform. Und dennoch ist der 26-Jährige für Zalando hoch aktiv. Der Modeversender zeigt seit zwei Jahren auf seiner Website echte Menschen in ausgewählten Kombinationen zum Nachkaufen.
De Geyter steht dabei für einen bemerkenswerten Trend. Der Tänzer kombiniert Kleidungsstücke aus Damenkollektionen mit straßentauglichen Alltagsstücken: etwa ein Sporttop mit einer Hose der Skate-Marke Dickies. Auf einigen Zalando-Bildern trägt er sogar komplett Damenmode – vom halbtransparenten Shirt über einen kurzen Rock bis hin zu hohen Schuhen.
„Männlichkeit kommt mehr zu Geltung“
Für de Geyter ist das Alltag. Vor allem beim Tanzen trage er Kleidung, die für Damen vorgesehen ist. Auf der Straße eher seltener, sagte er dem flämischen Online-Magazin „Zizo“: „Wenn ich Damenmode trage, die eigentlich Weiblichkeit betonen soll, zeigt sie an meinem Körper im Gegenteil, dass ich eben keine weibliche Silhouette habe. Dadurch kommt meine Männlichkeit noch mehr zur Geltung.“
Für die typischen Maße von Männermode sei er hingegen zu klein und nicht muskulös genug: „Wenn ich ein enges bauchfreies Top trage, sind meine Brustmuskeln besser erkennbar als wenn ich ein Männer-T-Shirt trage, das doch genau diese Muskeln betonen soll.“ Deshalb würden viele seiner Freunde ebenfalls in der Damenabteilung schauen.
Auch bei Zalando ist de Geyter keineswegs ein Einzelfall. Etliche der männlichen Botschafter auf der Seite kombinieren ähnlich frei von Geschlechternormen wie der Brüsseler. Denn der genderfluide Trend ergibt nicht nur modisch Sinn, sondern auch geschäftlich – selbst dann, wenn nur wenige Kunden genau solch einen gewagten Look nachkaufen.
Es geht den Modehändlern nur zum Teil ums Image. „Im Einklang mit unserer Diversity-&-Inclusion-Strategie arbeiten wir hier auch mit diversen Creatern zusammen, darunter auch nicht binäre und transsexuelle Personen“, erklärt eine Zalando-Sprecherin auf Anfrage im konzerntypischen Mix aus Deutsch und Englisch. Die Berliner signalisieren mit der Auswahl ihrer Botschafter, dass sie Themen aufgreifen, die die junge Zielgruppe bewegen.
Das hilft zwar auch im Kampf um Aufmerksamkeit: „Am auffälligsten ist es immer noch, wenn Männer sich Frauenmode anziehen – andersherum schockt das drei Viertel der Welt längst nicht mehr“, sagt Jürgen Frisch, Professor für Modedesign an der HAW Hamburg.
Rollkragenpullover und graue Hoodies
Allerdings rechnet er nicht damit, dass Männer als Träger von Frauenteilen wirklich viel Umsatz bringen. Wichtiger als der direkte Verkauf der genderfluiden Looks aus den Werbebildern kann für die Branche aber ein zweiter Aspekt sein. Die Unternehmen stützen mit den gewagten Kombinationen den für sie nützlichen Trend zu vielfältigerer Mode für junge Männer.
Ältere modische Rollenvorbilder wie der verstorbene Apple-Chef Steve Jobsund Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sind für ein zu allen Anlässen gleiches typisches Outfit bekannt – einen schwarzen Rollkragenpullover beziehungsweise einen grauen Hoodie. Sie prägten so einen Casual-Stil, der für den Modehandel wenig lukrativ ist. Bis heute trägt die Mehrzahl der Männer dieselben Kleidungsstücke in der Freizeit, im Büro und im Klub.
Indem der Männer-Mainstream stärker an die Frauenmode heranrückt, ändert sich das. „Das Homeoffice verstärkte zuletzt den Casual-Zug noch – das bricht nun auf“, sagt Modeexperte Frisch. Durch Vorbilder wie de Guyter, der seinen Modestil in der Tänzergruppe der aufstrebenden belgischen Elektromusikerin Chibi Ichigo beibehält, führt Zalando seine männlichen Kunden an anlassbezogene Outfits heran: Ein bauchfreies Top eignet sich zwar für den Klubabend, nicht aber für die meisten Jobs oder die Universität. Selbst weniger wagemutige junge Kunden lernen über die neuen Vorbilder, verschiedene Outfits zu kaufen – also ihre Kleiderschränke voller zu stopfen.
Für den Modehandel ist das willkommen: Mit der hohen Inflation wird das Geschäft schwieriger. Gerade im Onlinehandel bleiben die Lager voll. Bei Zalando stagniert erstmals seit der Gründung der Umsatz bei gut zehn Milliarden Euro in den ersten neun Monaten 2022, denn die durchschnittlichen Bestellwerte sinken. Da hilft es, wenn die Kunden wenigstens öfter kaufen: 5,2 Bestellungen pro Person gehen im Jahr ein, gut zehn Prozent mehr als vor der Pandemie.
Perlenketten für Männer
Wie viele Kunden dabei Damen- und Herrenmode mischten, sei nicht ermittelbar – schließlich kauften viele Männer auch Geschenke für Freundinnen, heißt es bei Zalando. Doch selbst der wenig trendversessene Versender Otto warb im Weihnachtsgeschäft mit Perlenketten als Geschenk für junge Männer. Die Herrentrends sind dafür ideal. Der feminine Touch fließt derzeit mit der maskulinen Rap-Mode zusammen: Selten waren auffällige Ketten und Armbänder bei Männern so gefragt.
So hat die deutsche Juwelierkette Christ eine neue Marke nur für Herren aufgelegt: „Unsame“ wirbt mit dem Fußballer Robin Gosens für Silberschmuck im „Streetstyle“. Dabei geht es auch darum, Neukunden zu gewinnen: „Hier findet wirklich jeder Mann etwas, auch wenn er sich bisher bei Schmuck noch nicht so viel zugetraut hat“, zitiert das Unternehmen den Sportler.
Die Schmuckbranche versucht damit nachzumachen, was Kosmetikkonzerne wie L’Oréal und Beiersdorf forciert haben. Wer heute ein schlichtes Armband kauft, greift morgen vielleicht zur aufwendigeren Kette – so, wie einige männliche Kunden inzwischen zusätzlich zur einst ungewohnten Gesichtscreme Eyeliner und Nagellack kaufen.
Das funktioniert allerdings nur, weil der gewagte Look im echten Leben bei Trendsettern sichtbar ist. In den Klubs und Festivals der deutschen Großstädte ist der Trend unübersehbar, der so gut zum genderbewussten Zeitgeist auf den Uni-Campus passt. Mit Kim de l‘Horizon hat 2022 sogar eine nonbinäre Person den Deutschen Buchpreis erhalten, die ihr männliches Aussehen mit weiblicher Kleidung kombiniert.
„Ein schlechtes Kleid reicht nicht“
In der elitären Modewelt beobachtet Experte Frisch das Verwischen der Geschlechtergrenze schon seit Jahren. Wie bei allen Modewellen droht jedoch die Gegenbewegung. Die High Fashion erschüttert der Abgang von Gucci-Kreativdirektor Alessandro Michele. Der Italiener brachte die Marke mit Botschaftern wie dem androgynen Sänger Harry Styles der jungen Generation näher – in den vergangenen Jahren mit einer Unisex-Kollektion, die Männer und Frauen ansprechen sollte.
Doch zuletzt stimmte das Umsatzwachstum nicht mehr. Das Management des Modekonzerns Kering soll einen so merklichen Stilwechsel verlangt haben, dass Michele sich verabschiedete.
Dass Genderexperimente allein nicht genügen, merkt Modeprofessor Frisch auch bei Studenten. Er urteilt hart über manche Kollektion: „Ein schlechtes Kleid einfach einem Mann anzuziehen reicht nicht. Ein biederer Entwurf bleibt trotzdem bieder.“

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