adieu kanada
> Stimmt. Aber diese andere Bedeutung ist ja dem "machen" nur deshalb
> zuteil geworden, weil im Englischen "to make" einen weit größeren
> Bedeutungsumfang, als das deutsche "machen" hat und jene Leute, die
> damit angefangen haben "to make sense" wortwörtlich ins Deutsche zu
> übersetzen, nicht gut genug Englisch konnten, um das zu begreifen.
1. bedeutungen von wörtern in isolation sind gar nicht angebbar. semantik ist konkret nur in größeren einheiten. wenn man sagt: "die sonne geht auf" und "er ißt den reis auf", hat man dasselbe wort "auf" (oder die verbpartikel? bis vor 20 jahren war das noch kein wort :-D so viel zum unsinn der damaligen rechtschreibreform) in verschiedener bedeutung. so geht es mit jedem wort der sprache. sprache beruht maßgeblich auf kognitiven operationen wie metaphorisierung, metonymie, etc.: fast alles war oder ist uneigentlicher gebrauch.
2. der laie macht den fehler anzunehmen, es gäbe dieses wort als distinkte, abgegrenzte einheit. dem ist nicht so. wörter haben selbst in verschiedenen dialekten verschiedene extension, und in verschiedenen kontexten.
3. sprachbeeinflussung ist nicht schlecht. sie führt nicht zu einer auflösung von strukturen, sondern zur bereicherung. ein baby ist kein säugling.
4. sprache erweitert sich bei einem neuen benennungsbedarf. beispielsweise sind die funktionen der kasus keineswegs "logisch", sondern es sind fast beliebige gebrauchsmuster: "hans zerbricht die tasse" vs. "die tasse zerbricht". man kann das erklären, aber man sieht sofort, der "nominativ" hat nicht die funktion, die ihm laien sofort zuerkennen, wenn man fragt. vielmehr hat er eine syntaktische funktion und interagiert mit einer ebenso wandelbaren verbbedeutung: ist "zerbrechen" nun eine handlung oder ein vorgang? offensichtlich beides? -- und selbst diese kategorien müßten zuvor definiert werden, um sie hier verwenden zu können ...
5. der vorwurf, eine sprache "nicht gut genug zu können" (ohne verb, das ist wichtig), läßt bewußt vage, was unter "können" überhaupt zu verstehen ist. man "kann" eine sprache immer in verschiedenem ausmaß (verstehen, sprechen, lesen, schreiben, beurteilen, einschätzen). der laie konzentriert sich auf eine undefinierte, aber für real gehaltene "normsprache", die als idealisiertes bild in seinem denken existiert. man kann sprache nicht so festnageln, wie sprachpuristen es tun. aber die meisten menschen sind puristen und denken irrigerweise sehr emotional und stark über so eine "norm" nach.
6. sprache funktioniert ohne all diese normen

es ist vergebliche liebesmüh, an der sprache herumzupfuschen.
7. die wortwahl all dieser stellungnahmen macht uns soziolinguistisch sofort klar, hier geht es um identität, attitude, norm, ingroup, strukturelle gewalt: leute sind zu dumm, können nicht, etc. -- und machen daher fehler, die allen schaden ... so inetwa sieht man das. wie so oft sprechen laien nicht von sprache, wenn sie von sprache sprechen, sondern von auszugrenzenden menschen.
8. alle sprachen entlehnen ständig von anderen. das ist "normal". deshalb sind die meisten sprachen einer beliebigen region einander sehr ähnlich. auch in redewendungen und im satzbau. mehrsprachigkeit ist ein natürlicher zustand, und das führt zu synergien im gehirn der benützer.
> Dabei ist es ja sofort klar, wenn man sich vor Augen hält, dass beispielsweise
> "a ship makes land" eben nicht "Ein Schiff macht Land", sondern "Ein Schiff
> erreicht das Land" bedeutet.
diese bedeutung ist im standarddeutschen bislang nicht üblich, soweit ich es beurteilen kann.
machen ist ein leichtes verb mit einer unzahl an möglichkeiten. in den meisten sprachen. die bedeutung ist inetwa "nicht genau spezifizierte handlungen oder vorgänge, für die es kein spezielles verb gibt". "ich mache sesseln/häuser/arbeit/..." und "das macht nichts/sinn/freude/den unterschied/ ..."
> Also ein klassisches Beispiel der Sprachbeeinflussung, das auf Unwissenheit und/oder
> Ignoranz beruht.
nein. auf normaler kognitiver operabilität.
> Genau genommen wird die deutsche Sprache damit ja komplizierter, weil "machen" eine
> zusätzliche Bedeutung erhält, die es nie gehabt hat und die auch völlig überflüssig
> ist, weil es genügend Möglichkeiten gibt den gleichen Sachverhalt mit den
> Standardwerkzeugen auszudrücken.
:-D es ist nicht notwendig, sich um die komplexität der sprache zu sorgen. da sie vage ist, muß man sich nicht alles merken, sondern versteht auch ungemerktes durch inferenz und andere prozesse. es gibt im gehirn kein limit für sprachliches wissen, oder wir sind jedenfalls weit darunter. ---- kultursprachen sind immer äußerst komplex; es gibt so viele nuancen synonymer wörter meist aus entlehnungen, die nur um kulturhistorischen kontext verständlich werden.
> Da bemüht man sich mit einer umfassenden Rechtschreibreform der
> Ungereimtheiten in der deutschen Sprache Herr zu werden, um das
> Erlernen für Kinder und Migranten zu erleichtern und dann lässt
> man sowas zu. Einfach absurd.
lassen wir die rechtschreibreform lieber beiseite, das ist ein eigener thread :-D
> P.S.: Grammatikalischer Exkurs: "machen" ist eben KEIN unpersönliches Verb,
> wie etwa "regnen". Es wird nur zwangsweise dazu vergewaltigt. "Es", in
> Verbindung mit "machen" bezeichnet immer ein reales Objekt. Es macht Lärm
> (das Auto). Es macht in die Hose (das Kind) etc.
bei helbig & buscha steht tatsächlich regnen = unpers. verb. ich meinte das anders. regnen etc. sind meteorologische verben, das ist eine eigene klasse, da nullwertig. aber auch dies nur in ihrer urspr. funktion. "es regnete vorwürfe" ist unpersönlich; "die vorwürfe regneten auf ihn nieder" ist ein prozeßverb. so ist sie, die sprache

ein bißchen metaphorisierung, und schon paßt wieder alles.
genau so macht "sinn machen" eben auch sinn. egal, wo es herkommt, ob es herkommt, wie es herkommt
"sinn machen" ist NUR EIN beispiel, das durch solche unwissenschaftlichen sprachpfleger wir sick (und zahlreiche vor ihm) populär wird -- es gibt hunderte oder tausende probleme in der germanistik, die alle sehr interessant, aber völlig unerkannt sind. beispiel: "in 1980" -- guckst du hier:
ZITAT AUS Freywald, Ulrike 2010: Obwohl vielleicht war es ganz anders. Vorüberlegungen zum Alter der Verbzweitstellung nach subordinierenden Konjunktionen. in: Ziegler Arne (ed.): Historische Textgrammatik und Historische Syntax des Deutschen. Traditionen, Innovationen, Perspektiven. 2 Bde. Berlin, New York: de Gruyter.
BEGINN
Auf der Homepage des Vereins Deutsche Sprache (VDS) wird in 2007 auf den „Anglizismenindex“ gesetzt. Ziel dieses Index ist es, „überflüssigen Anglizismen schon im Anfangsstadium ihres Erscheinens [zu begegnen]. Er ist damit ein aktuelles Nachschlagwerk für Wörter von heute“ (online im Internet:
http://www.vds-ev.de/anglizismenindex; 30.01.2009). Und in einer Zwiebelfisch-Kolumne von Sick heißt es schließlich: Die Präposition ‚in‘ vor einer Jahreszahl ist ein Anglizismus, der vor allem im Wirtschaftsjargon allgegenwärtig ist. Die deutsche Sprache ist jahrhundertelang ohne diesen Zusatz ausgekommen und braucht ihn auch heute nicht. (Sick 2006, 229)
Hier irrt Sick allerdings, denn die deutsche Sprache erträgt diesen „Zusatz“ seit mindestens anderthalb Jahrhunderten offensichtlich recht gut, d.h. dessen Erscheinen befindet sich gewiss nicht im „Anfangsstadium“, wie der VDS vermutet. Wie Davies / Langer (2006, 134) dokumentieren, wird die Konstruktion ‚in + Jahreszahl‘ seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in diversen Sprachratgebern erwähnt (Matthias 1921 bringt Zeitungsbelege aus der Mitte des 19. Jahrhunderts) und meist französischem, seltener auch englischem Einfluss zugeschrieben. So schreibt etwa Wustmann:
Wie mit nach hier und nach dort, verhält sichs auch mit in 1870, das man neuerdings öfter lesen kann. [...] Es ist eine willkürliche Nachäfferei des Französischen und des Englischen. (Wustmann 1908, 258)
Diese beiden Beispiele sollen genügen, um die stete Neigung zu illustrieren, Konstruktionen, die normativ diskriminiert sind, als neu zu betrachten, da man wohl glaubt, Ungewohntes könne nur deshalb ungewohnt erscheinen bzw. als unpassend empfunden werden, weil es noch nicht etabliert, eben neu ist.5 Offensichtlich können ‚nicht etablierte‘ Strukturen diesen Status aber über sehr lange Zeit beibehalten – entweder weil sie sich tatsächlich nicht (oder nicht vollständig) ins Sprachsystem einpassen oder weil sie, obwohl vom grammatischen Verhalten her längst integriert und im nicht-normierten Sprachgebrauch durchaus etabliert, kontinuierlich als nicht normgerecht gebrandmarkt werden. (Freywald 2010: 57f.)
ENDE