Die Partnerin soll tolerieren, dass der Partner Nylons trägt; der Partner toleriert aber nicht, dass die Partnerin keine Nylons an ihrem Partner mag oder selber trägt.
Das "soll tolerieren" in Deinem Beitrag klingt irgendwie so, als ob jemandem was auferlegt wird, was er eigentlich nicht mag. Irgendwas an dem, was Du schreibst, löst in mir ein gewisses Unbehagen aus. Ich versuche mal, der Sache auf den Grund zu gehen.
Spontaner Gedanke:
- Wenn eine Partnerin eine Abneigung dagegen hat, dass der Mann feminine Accessoires trägt, dann gibt's ein großes Problem, sofern dem Mann das Ausleben dieser Neigung wirklich wichtig ist. Egal ob sie es toleriert oder nicht - entscheidend ist die Tatsache, dass eine Abneigung besteht.
- Wenn ein Mann sich sehr wünscht, dass seine Frau dieselben Dinge trägt, sie es aber nicht mag, dann gibt's ebenfalls ein großes Problem, sofern der Mann einen sehr starken Wunsch danach verspürt.
Vorsicht: das schreibe ich ohne Schuldzuweisungen! Keiner der Beteiligten kann etwas für seine Haltung, und keine Haltung ist höherwertiger als die andere. Und noch was: in beiden Fällen stelle ich hier den Mann der Auslöser dar, weil er (in diesem speziellen Fall) derjenige ist, der ein Anliegen hat. Die Rollen könnten aber auch anders verteilt sein; ich wollte nur bei Deinem Beispiel bleiben.
Weiter gedacht: eine Partnerin, die meine eigene Neigung nur "toleriert", wäre nicht die richtige Partnerin für mich. Toleranz zu fordern in einem solchen Fall geht für mich völlig am Kern des Problems vorbei. Etwas zu tolerieren bedeutet doch, dass man um des lieben Friedens willen eine Sache geschehen lässt, die man eigentlich nicht gut findet. Mir wäre das zu wenig. Ich würde immer denken: "sie findet es nicht gut". Und immerhin geht es hier nicht um eine Kleinigkeit, sondern um eine allertiefst verankerte Niesche der Persönlichkeit. Wie soll sich denn das anfühlen, wenn ich den Eindruck habe, dass die Partnerin einen wesentlichen Teil meiner Persönlichkeit innerlich ableht?
Wenn jemand sagt, "es gibt wichtigeres in einer Beziehung", dann mag das im Einzelfall der Wahrheit entsprechen. Vielleicht ist das "Sehnsuchtslevel" in diesem Fall dann nicht so hoch. Wer wirklich eine ausgeprägte Sehnsucht nach einer solchen Sache hat und in der Beziehung keinen gesunden Raum dafür findet, wird mindestens eine andauernde tiefe und belastende Unzufriedenheit empfinden und sicherlich nicht behaupten, dass es wichtigeres gebe. Es gibt doch Bereiche, die zwar nicht die wichtigsten sind, die aber dennoch zu einem Fallstrick werden können, wenn sie nicht auf gesunde Weise gelebt werden. Essen, Trinken und Atmen ist auch wichtiger im Leben als das Finden eines lieben Partners. Und dennoch haben manche unfreiwillige Dauersingles das Gefühl, unter dem Alleinesein so sehr zu leiden wie unter nichts anderem. Das ist doch das Vertrackte an der Sehnsucht - je mehr sie ungestillt bleibt, umso größer wird sie. Das Gefühl für die Relationen kann dabei völlig verloren gehen in der Wahrnehmung des Betroffenen.
Wenn ich "tolerieren" höre in einem solchen Zusammenhang, dann denke ich, dass das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Frage ist dann, wie gewichtig das Thema ist. Sicherlich kann (und muss) man manches tolerieren in einer Partnerschaft - das 100prozentige Zusammenpassen gibt es wohl nie. Vielleicht toleriere ich, dass der Partner Raucher ist. Eine Frage des eigenen Ermessens! Aber bei einer so elementaren Sache wie der sexuellen Prägung sind Schwierigkeiten und Missempfindungen doch stark vorprogrammiert.
Ich kann nur jeden ermutigen, dem (potenziellen) Partner frühzeitig die Karten auf den Tisch zu legen. Man erspart sich vieles an Schmerzen. Und wenn die Sache nunmal viel zu spät auf den Tisch kommt, hilft für mein Dafürhalten das Einfordern von Toleranz nur in den "eher sanften" Fällen - aus den genannten Gründen. Wo Toleranz vonnöten ist, gibt es auch einen Konflikt (denn sonst bräuchte es ja keine Toleranz von irgendeiner Seite). In den Fällen, in denen Toleranz einfach nicht der Weg zum Glück ist, weil das Anliegen auf einer Seite zu gross ist, wird man vielleicht nach anderen Arten des Konfliktmanagements suchen müssen. Oder aber bereit sein, ein Leben lang immer und immer wieder dieselben Streitgespräche zu führen.